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Die Kinderflohmarkt-Posse

Lesen Sie nachfolgend die Realsatire um die Genehmigung der traditionellen Kinderflohmärkte auf dem Arnswalder Platz im Jahr 2018.. Sehr bedauerlich war, dass leitende Beamte beim Straßen- und Grünflächenamt auf unsere konstruktiven Vorschläge zur Vereinfachung und bürgerfreundlicheren Organisation der Verwaltungsvorgänge – bis hin zur Entwicklung eines Antragsformulars für die Nutzung des öffentlichen Raums – keine Stellung bezogen hatten. Auch nicht betreffs unserer Nachfrage, ob bestimmte Verwaltungsvorschläge nicht schlanker gestaltet werden könnten, z.B. wenn es um die Genehmigung von harmlosen Kinderflohmärkten geht: Acht behördliche Stellen müssen dazu Gutachten schreiben…

Genehmigung von  Kinderflohmärkten am Arnswalder Platz – eine Schildbürger-Posse der Verwaltung

Der traditionelle Kinderflohmarkt in der Bötzowstraße am Arnswalder Platz wurde für das Jahr 2018 nicht genehmigt. Dann aber doch. Der Weg zur Genehmigung wirft ein Schlaglicht auf Berliner Entscheidungsprozesse – und warum es mit dem neuen Flughafen nicht klappt. Stichwort: Verantwortungs-Diffusion.

Liebe Leserin, lieber Leser, strapazieren Sie für einen Moment Ihr inneres Auge. Was sehen Sie bei dem Begriff ‚Kinderflohmarkt‘ vor sich? Kommerzielles Treiben, Lautsprecherboxen, aus denen wummernde Bässe dröhnen, Grillrauchschwaden, Konsum von Speisen und Getränken, Müllhaufen aus Einwegverpackungen mit Essensresten als Rattenfutter – alles Dinge, die wir in Parks und auf Plätzen in Berlin allerorts erleben und die staatlich geduldet werden. Denken wir mal an den Volkspark Friedrichshain.

Oder sehen Sie beim Stichwort ‚Kinderflohmarkt‘ Tapeziertische und Decken vor sich, auf denen vergnügte Kinder für ein paar Cent ihre langweilig gewordenen Spielsachen und Kleidungsstücke, denen sie entwachsen sind, an andere Kinder weitergeben? Recycling, das Freude macht, statt dass die Sachen auf dem Müll landen?

Nun, mit dem zweiten Bild liegen Sie richtig. Aber beim Pankower Grünflächenamt sah man das – zunächst – offenbar ganz, ganz anders und knüpfte mühevoll und mit akribischen Begründungen einen gordischen Knoten. Ihn zu zerschlagen kostete viel Steuergeld, Zeit und Nerven von engagierten Bürgern, von Politik und Verwaltung und wirft die Frage auf: Geht’s auch anders?

Und dies sind die Schlingungen des gordischen Knotens:

Am 10. Oktober 2017 stellte Ronaldo dos Santos, Inhaber des beliebten Kiez-Cafés ‚Cafezinho‘ in der Bötzowstraße 41, beim Bürgeramt Pankow den Antrag auf die Genehmigung von sechs Kinderflohmärkten, beginnend am 8. April 2018 (sein Antrag ist hier verlinkt). Er reichte ihn persönlich dort ein und erhielt gleich bei der Antragstellung eine mündliche Absage mit Hinweis auf den für den Arnswalder Platz geltenden Denkmalschutz. Er versuchte es ein zweites Mal – mit dem selben Ergebnis.

Als auf dem Arnswalder Platz ehrenamtlich engagierter Stadtgärtner telefonierte ich am 5. April mit der für Sondergenehmigung zuständigen Sachbearbeiterin beim Grünflächenamt, Frau Reichelt. Auf ihre erneute Ablehnung hin schrieb ich ihr am 6. April eine Mail, mit der ich sie um eine schriftliche Begründung der Ablehnung bat (hier verlinkt).

Frau Reichelt wies in ihrer Antwort auf das Berliner Grünanlagengesetz hin, wonach öffentliche Grün- und Erholungsanlagen nur so benutzt werden dürfen, wie es sich aus der Natur der Anlage und ihrer Zweckbestimmung ergibt. Bezogen auf die Kinderflohmärkte schrieb sie: „Der Zweck, die Erholung der Bevölkerung, wäre durch diese Nutzung beeinträchtigt und entfremdet.“ Beeinträchtigt? Entfremdet??? Durch einen Kinderflohmarkt?? Außerdem müsse die Nutzung „schonend erfolgen, so dass Anpflanzungen und Ausstattungen nicht beschädigt, verschmutzt oder anderweitig beeinträchtigt und andere Anlagenbesucher nicht gefährdet oder unzumutbar gestört werden.“ Wie sollen die Kinder die Anlagen beschädigen, wo doch die Flohmärkte außerhalb der Anlage auf einer betonharten wassergebundenen Oberfläche und auf dem Gehweg stattfinden? Wie sollen sie die ‚Anlagenbesucher‘ gefährden? Wie sollen die sonstigen Platznutzer gestört werden – durch spielende Kinder? Außerdem müsse ein ‚überwiegendes öffentliches Interesse‘ für eine Genehmigung gegeben sein. Politische Parteien dürfen auf dem Arnswalder Platz – und auf ihm, nicht nur am Rande, wie beim Flohmarkt beantragt – ihre Veranstaltungen durchführen. Repräsentiert etwa eine einzelne Partei das ‚überwiegende öffentliche Interesse‘?

Eine ‚Folgenbeseitigung‘ müsse gesichert sein. Ja, selbstverständlich, und zur Absicherung hatte Herr dos Santos im Vorjahr eine Versicherungsgebühr in Höhe von ca. 500,- € entrichtet.

So resümiert die für Sondergenehmigungen zuständige Sachbearbeiterin beim Bezirksamt Pankow: „Ihre Anfrage zur kommerziellen Nutzung in Form eines Kinderflohmarktes ….in der Grün- und Erholungsanlage Arnswalder Platz wird als nicht genehmigungsfähig beurteilt und schließt sich somit aus.“ Das Verbot für solche ‚Handelstätigkeiten‘ (!!!) gelte auch für den angrenzenden Promenadenweg (der zum Platz gehört) und für den angrenzenden Gehweg. Wie wir alle wissen, werden in Berlin allerorts auf öffentlichen Plätzen, auch auf Gartendenkmalen, Veranstaltungen genehmigt, auf denen Bier, Wein und Nahrungsmittel angeboten werden – denken wir an das Sommerfest ‚Stierisch gut‘ mitten auf dem Arnswalder Platz oder die wochenlange Weinverkostung auf dem Gartendenkmal Rüdesheimer Platz. Sie finden ein Verbot der Kinderflohmärkte mit solchen Begründungen im Wortsinne un-glaublich? Dann finden Sie die gesamte Mail hier.

Ein Vorgesetzter von Frau Reichelt, Herr Wolf Sasse, der für den Bereich der Grünflächenpflege und Unterhaltung in Pankow zuständige Gruppenleiter, hatte vier Tage vor Frau Reichelts Versagung der Flohmärkte das Verfahren dargelegt, dass nach der zweimal mündlich erfolgten Absage auf den von Herrn dos Santos am 10. Oktober letzten Jahres gestellten Antrag zu erfolgen habe. Er legt dabei erstmalig die zu erfüllenden Antragsbedingungen dar. Es läuft auf einen erneut zu stellenden, detailliert begründeten Antrag hinaus. Der erste Flohmarktstermin war bereits für den 8. April beantragt worden, also schon nicht mehr realisierbar. Was sollte nach der nunmehr dritten Antragstellung für denselben Zweck geschehen? Herr Sasse: „Im Umlaufverfahren werden dann gem. der beantragten Nutzung alle relevanten Stellen beteiligt, in deren Zuständigkeit Teile der geplanten Nutzung fallen. (Umweltamt, Denkmalschutzamt, Neubau, Grünunterhaltung, Spielplatzunterhaltung, Straßenunterhaltung, Werkhof sowie die Grundstücksverwaltung, die alle Stellungnahmen zusammenfasst). Dies ist ein Standardverfahren, dass ohne ‘Abkürzungswege‘ durchlaufen werden muss…“ Haben Sie mitgezählt? Es sind 7 Stellen (in Worten: sieben), die Stellungnahmen zur Genehmigung des Kinderflohmarktes verfassen sollen und eine achte, die sich dem Studium dieser Stellungnahmen widmet und eine Zusammenfassung schreiben soll. Die Mail von Herrn Sasse ist hier dokumentiert.

Lieber Himmel, es geht um die Gestattung von Kinderflohmärkten, nicht um die Genehmigung eines Atomkraftwerks! Wundert es Sie bei einem solch komplizierten und personalintensiven Verfahren, dass große Teile von Berlins Verwaltung auf dem letzten Loch pfeifen und Projekte nicht fertig werden? Das Grundübel, das wir hier im Mikrobereich erleben, wirft ein Licht auf das große Ganze, etwa auf den nicht abheben wollenden Flughafen: Menschgemachte Verkomplizierung von Prozessen.

Zerschlagung des Knotens

Auf Empfehlung des Abgeordneten Tino Schopf wandte ich mich mit Hinweis auf unser Engagement für den Arnswalder Platz per Mail an Herrn Günter Schwarz  von der Abteilung Stadtentwicklung und Bürgerdienste und bat ihn, zur Lösung des Problems beizutragen. Nachdem Herr dos Santos bei ihm schließlich doch noch einen dritten Antrag gestellt hatte, nahm Herr Schwarz sich des Vorgangs an, kam zum Antragsteller, Herrn dos Santos, ins Café, sprach mit ihm, nahm die gegenüberliegende, für den Flohmarkt vorgesehene Fläche (siehe Foto) in Augenschein und leitete unverzüglich die Genehmigung ein. Zwei Tage später hielt Herr dos Santos sie in Händen. So kurz, so einfach, so pragmatisch.
Und so wirklichkeitsnah. Ja, für wen sind denn öffentliche Plätze da? Natürlich für Anwohner und andere Besucher, um sie – rücksichtsvoll und schonend! – zu ‚bespielen‘!!

 

Auch ohne, dass das von Herrn Sasse als verbindlich in Aussicht gestellte aufwändige Verfahren auch nur angeschoben wurde, hatten bereits folgende Personen Zeit und Energie in die Antragstellung investiert: Herr dos Santos selber, Frau Reichelt und Herr Sasse mit ihren Mails, und Personen aus Politik und Verwaltung, die ich eingeschaltet hatte: der SPD-Abgeordnete Tino Schopf, der Pankower Baustadtrat Vollrad Kuhn, der Bezirksstadtrat für Umwelt und öffentliche Ordnung, Daniel Krüger und schließlich Herr Schwarz. Nicht zuletzt ich selber. Und nun haben noch Sie, liebe Leserin, lieber Leser dieser Zeilen, bis hierhin durchgehalten – und das in einer Zeit der Short Messages und Tweeds, des ADS und der generell kurzen Aufmerksamkeitsspanne – Chapeau!! Aber wie will man Überkomplexität darstellen, ohne selber ein wenig komplex zu werden?!

Lösungsvorschläge

Wie ginge es einfacher? So: Die Antragsteller ziehen ein kompaktes Antragsformular aus dem Internet (ich habe 20 Minuten in einen hier verlinkten Entwurf investiert), eventuelle Fragen werden per Telefon oder notfalls vor Ort geklärt, danach schreibt die für Sondernutzungen zuständige Sachbearbeiterin ein kurzes Plädoyer, das sie zusammen mit der Antragstellung an die relevanten Stellen (m.E. sind maximal drei oder vier genug) weiterleitet. Wenn diese innerhalb einer kurzen Frist keine Einwände anmelden, wird das Vorhaben genehmigt bzw. entsprechend dem Plädoyer begründet versagt. Den Antrag schickt der Antragsteller wegen der erforderlichen Original-Unterschrift per Post oder reicht ihn persönlich ein, die weitere Kommunikation (z.B. das Zusenden von Fotos) kann per Mail erfolgen. Das alles ginge schon, bevor das lange angekündigte E-Government endlich Realität wird…

Ferner muss nach meiner Überzeugung das Berliner Grünanlagengesetz dringend novelliert werden. Es ist alles andere als bürgerfreundlich. Nur drei Zeilen beziehen sich auf Pflichten des Landes Berlin [§ 5 (1)], nämlich die Verkehrssicherungspflicht, 68 Zeilen dagegen auf die Eigenverantwortung und die Pflichten des Bürgers, einschließlich eines ausführlichen Ordnungswidrigkeiten-Katalogs (hier verlinkt, mit meinen Markierungen). Ich werde versuchen, Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses dafür zu gewinnen!

Haben Sie Ideen, wie man das Berliner Grünanlagengesetz demokratischer und bürgerfreundlicher gestalten könnte? Ich freue mich über Rückmeldungen, bitte per Mail an arnswalderplatz@hotmail.de. Ich werde Zuschriften an dieser Stelle veröffentlichen, außer, dass dies ausdrücklich nicht gewünscht wird.

Carsten Meyer

 

 

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